Donnerstag, 14. August 2014

Perspektiven für die Generation Y? Von einer die auszog um die Realität zu erkennen.




Liebe Franziska, vielen Dank zunächst einmal, dass du dich für ein Interview bereit erklärt hast. Ich habe von dir und deiner Geschichte über das Blog von Henrik Zaborowski (hzaborowski.de) erfahren. Da ich nicht an den Einheitsbrei Generation Y glaube, möchte ich nicht behaupten, dass du eine typische Ypsilonerin bist, aber du bist auf jeden Fall dieser Generation zugehörig. 

Gut ausgebildet, mit einem Hochschulabschluss in der Tasche hast du dich auf den Weg gemacht und bist erstmal gewaltig enttäuscht worden, was genau war das Problem?

Ganz genau, als junge Akademikerin und von der wissenschaftlichen Ausbildung der Universität idealisiert, habe ich mich voller Tatendrang auf eine spannende Aufgabe im Beruf gefreut. Ziel war es, mein theoretisch erworbenes Wissen in die Praxis umzusetzen. Leider habe ich das bis heute nur teilweise erreicht. Nach meinem Studium musste ich sehr schnell feststellen, dass es schwieriger werden würde, als ich zunächst dachte. Selbst mit Einser-Schnitt, Auslandsemester, Praktika im In-und Ausland sowie einer Publikation hatte ich keine Chance. Meinem Abschluss entsprechend bewarb ich mich zielgerichtet auf geeignete Positionen, sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der freien Wirtschaft. Auf eine Bewerbung folgte die Nächste. Im besten Fall erhielt ich Absagen, im schlimmsten Fall gar nicht einmal eine Antwort. Resultat meiner ersten Bewerbungsphase: Ich erhielt nicht eine Einladung zu einem Gespräch. Danach folgten eine Weiterbildung und weitere Praktika. Die traurige Ernüchterung aus dieser Zeit: der deutsche Arbeitsmarkt braucht keine Geisteswissenschaftler.

Schlagwort Fachkräftemangel, wenn man eine ähnliche Situation wie du durchlebt hat, kommt man sich dann nicht ein wenig veräppelt vor wenn man ständig hört, dass Fachkräfte fehlen? Glaubst du dass es den Fachkräftemangel gibt oder denkst du eher, dass die freie Wirtschaft diesen durch eigene Fehler befeuert, bzw. als Druckmittel nutzt?

Ja, wenn man als gut ausgebildete „Fachkraft“ mit guten Referenzen von der Universität kommt und keinerlei Jobeinstieg auf einem scheinbar suchenden Arbeitsmarkt findet, dann fühlt man sich genau so. Das ist nicht nur bei mir der Fall. Zahlreiche Freunde von mir – auch anderer Studiengänge – haben und hatten ähnliche Probleme. Ob es den genannten Fachkräftemangel gibt, kann ich nicht einschätzen. Man hört und liest von fehlenden Wirtschaftsinformatikern und Ingenieuren oder dem Auslastungsdefizit von Studiengängen für sogenannte MINT-Berufe. Dann ist wiederum die Rede von fehlenden Stellen in den Handwerksberufen. An einen Fachkräftemangel in den akademischen Berufszweigen will ich nicht so recht glauben. Heutige Unternehmen stehen unter einem außerordentlichen Konkurrenzdruck. Der heimatliche und europäische Markt stagniert und ist nahezu erschlossen – warum dann nicht lieber auf dem chinesischen Markt investieren, mithilfe einer Fachkraft, die entsprechendes sprachliches und kulturelles Know-how mitbringt. Das sind aufgestellte Hypothesen, die aber vielleicht nicht weit von der Realität entfernt sind.

Eine gewisse Teilschuld dieses Fachkräfte-Dilemmas möchte ich allerdings bei der Politik verorten. Dort hat man die Kompetenz etwas zu ändern, aber die Hände werden flach gehalten. Es gibt Fachkräfte in Deutschland. Wenn diese nicht passgenau sind, dann sollten sie bspw. durch Weiterbildungen und Umschulungen gefördert werden. Wird ein Germanist auf dem Arbeitsmarkt nicht gebraucht, sollte dies an den Universitäten kommuniziert und ggf. studiengangsbegrenzend verändert werden. Auch das kann politisch motiviert werden. Zudem sollte ein Schüler in der Sekundarstufe II eines Gymnasiums wissen, was es später für ihn bedeutet Philosophie, Anglistik oder Politikwissenschaft studiert zu haben. Hier besteht seitens der politischen Seite dringender Nachhole- und Aufklärungsbedarf.

Was würdest du dir von der Wirtschaft wünschen?

Die deutsche Wirtschaft hat meiner Meinung nach 2 generelle Probleme: Zum einen, sich von vorgefertigten Mustern zu lösen, und zum anderen, Sicherheit gegen ein vielversprechendes Risiko einzutauschen. Die „German“ Angst ist zu groß – warum sonst gibt es bspw. so wenige Unternehmensgründungen in diesem Land. Ich wünsche mir von der Wirtschaft, und damit möchte ich mich insbesondere an alle Personalverantwortlichen richten, sich von stringenten roten Fäden im Lebenslauf eines Bewerbers zu lösen und unter dem Stichwort „fachunabhängige Leistung“ einen Vorteil zu sehen. Substanzielle Eigenschaften, bspw. selbstständig Probleme zu lösen, teamfähig zu sein und gerne Verantwortung zu übernehmen sollten einem Notendurchschnitt, dem Ranking einer Universität oder einem renommierten Unternehmensnamen übergeordnet sein. Ich wünsche mir zudem nicht nur eine Akzeptanz, sondern die aktive Befürwortung von Vielseitigkeit hinsichtlich verschiedener Berufserfahrungen. Pluralität ist zeitgemäß und sollte nicht als jobtechnische Richtungslosigkeit interpretiert werden. 

Ich bin ein Personaler, daher ist es für mich natürlich interessant wie sich meine Kollegen dir gegenüber verhalten haben. Hast du Verbesserungspotentiale erkannt, gab es herausstechende positive wie negative Erfahrungen und wie sahen diese im Detail aus? Was würdest du verbessert sehen wollen?

Es gab sowohl positive als auch negative Erfahrungen in meiner Bewerbungsphase. Ich bin nicht umsonst oft weit gekommen, weil es Personalverantwortliche gab, die trotz meines geistwissenschaftlichen Studiums mein Potenzial auch für ein fachfremdes Berufsfeld erkannt haben. Ich erinnere mich dabei insbesondere an eine Finanzberatung, wo ich erst nach der letzten Runde gescheitert bin. Als negativ empfand ich hingegen meine Bewerbungsprozesse bei zwei großen Personalberatungen. Im ersten Fall wurde ich exakt nach jeder „Lücke“ in meinem Lebenslauf befragt und dazu zählt auch ein Zeitraum von einem Monat. Im zweiten Fall jagte man mich durch 7 Bewerbungsrunden, um mir nach den „Strapazen“ nicht etwa die Festanstellung sondern zunächst ein sogenanntes Trainee-Programm anzubieten, obwohl meine Qualifikationen dessen Anforderungen weit überschritten haben. Auch ein Bewerber setzt Grenzen: So bin ich aus beiden Bewerbungsverfahren freiwillig ausgetreten. 

Meine Idee für eine bessere Zusammenarbeit: Liebe Personaler, passt Euch der heutigen Zeit an und seid kreativ. Löst euch von vorgefertigten Fragenkatalogen. Sucht aktiv nach anderen Selektionsmaßnahmen und Standards bei der Gestaltung Eurer Bewerbungsprozesse, sonst gehen Euch wertvolle Talente verloren. Gerade die sind es, die in einer wettbewerbsintensiven, webbasierten und sich ständig verändernden Wirtschaftswelt gebraucht werden. 

Wie siehst du unsere Generation, was sind deiner Meinung nach unsere Stärken und Schwächen?

Zunächst einmal möchte ich mich von dem pauschalisierten Image der Generation Y lösen. Meine persönliche Einwicklung zu einer Ysilonerin ist auf meine zahlreichen Erfahrungen in verschiedenen Bewerbungsprozessen zurückzuführen. Als Stärke dieser Generation empfinde ich das generelle Infragestellen von Dingen, etwa von Hierarchien, Personen, Lösungsansätzen etc.. Wir vermeiden es, Aufgaben stringent auszuführen ohne uns näher mit diesen auseinander zu setzen. Wir scheuen keine Entscheidungen, auch wenn das Risiko besteht, dass wir Fehler machen. Uns zeichnet vor allem Flexibilität aus und wir können uns schnell an neue Umweltbedingungen anpassen. Unsere Schwäche sehe ich darin, dass wir zu schnell zu viel wollen. Wenn zu schnell Extreme gefordert werden und man immerzu versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, dann ergibt sich logischerweise auf der anderen Seite eine gewisse Ellebogenhaltung und nichts geht mehr. 

Welche Kritikpunkte findest du an unserer Generation, wo sollten wir uns aus deiner Sicht an die eigene Nasenspitze greifen und was denkst du könnten wir besser machen?

Diplomatie, Selbstreflexion, ein wenig mehr Geduld und empfängerorientierte Kommunikation täte uns sicher gut, damit die Gesamtsituation am Ende reifere Früchte trägt. Wir sollten nicht nur fordern, sondern durch Mitarbeit und Eigeninitiative eine erfolgreiche Zusammenarbeit fördern. Eine dosierte Portion Nachsicht mit der Verteidigung eigener Präferenzen schlage ich vor.

Welche Wünsche und Ansprüche hast du an einen modernen Arbeitgeber?

Ich wünsche mir eine kreative, spannende und verantwortungsvolle Tätigkeit mit einer gewissen Flexibilität im Aufgabenbereich sowie flachen Hierarchien. Darunter verstehe ich bspw. eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen auf allen Ebenen. Die Förderung der persönlichen Entwicklung und individuell angepasste Weiterbildungsmöglichkeiten sehe ich als zweiten wichtigen Punkt. Zudem sollte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleistet sein, bspw. in Form von Betriebskitas und begleitenden, berufsbezogenen Angeboten während der Elternzeit, um nicht den Anschluss zu verlieren. Darüber hinaus begrüße ich eine lockere Unternehmenskultur: Auch mal ein Bier mit dem Chef oder diverse Teambuilding-Events gehören dazu. Zuletzt wünsche ich mir eine offene Kommunikationskultur und die Freiheit, jedem eine Frage stellen zu können. Das klingt nach einer ganzen Menge, ich weiß.

Hast du mittlerweile gefunden was du suchst? Wenn ja, was bietet man dir dort und wie ist man dir begegnet?

Jein. Das ist eine schwierige Frage, da es aufgrund meiner Erlebnisse mit Bewerbungsgesprächen und im Beruf den einen Traumberuf für mich schlichtweg nicht mehr gibt. Ich bin offen für vieles und profitiere von den Möglichkeiten, die sich mir bieten. Aktuell bin ich am Puls der Zeit: in einem E-Commerce-Unternehmen, welches mich fordert und mir auch viel Freude bereitet. Hier stimmen Unternehmenskultur, Weiterbildungsprogramme und kontinuierliche Dynamik in den Unternehmensprozessen. Die richtige Position habe ich aktuell zwar noch nicht, aber meine Chancen stehen gut und es bewegt sich etwas.

Zuguterletzt, was möchtest du Menschen die eine ähnliche Situation wie deine Durchleben mit auf den Weg geben, vielleicht hast du selbst ja auch Fehler gemacht die sich vermeiden lassen, oder hast gelernt dass bestimmte Verhaltensweisen eher ans Ziel führen?

Das Wichtigste ist, dass man daran denkt, man selbst zu bleiben. Ein Verbiegen wirkt eher unglaubwürdig und schadet dem eigenen Wohlbefinden. Das „gute Verkaufen der eigenen Person“ sollte daher nur bis zu dem Punkt getrieben werden, an dem man es noch selbst vertreten kann.
Trotz meiner nicht so berauschenden Erfahrungen, bin ich der festen Überzeugung, dass man seinen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden kann. Man sollte sich der eigenen (Er-)Neuerung nicht verschließen und weiter an sich arbeiten. Lebenslanges Lernen ist das Keyword. Trotz eigener richtiger Überzeugungen gilt es, sich auf die noch vorherrschende Gesellschaft einzustellen. Fachunabhängige Leistung wird jetzt noch nicht akzeptiert, daher studiere ich bspw. gerade berufsbegleitend Betriebswirtschaftslehre, um den Forderungen der Wirtschaft nachzukommen und auch für mich neue Möglichkeiten zu schaffen. 

Mein Tipp an alle, die meinen, den Tiefpunkt im Bewerbungsdschungel erreicht zu haben: Gebt nicht auf und macht weiter. Geht nicht nur aktiv, sondern „aggressiv“ proaktiv voran und fordert das ein, was ihr möchtet. Denn nur wenn man sich selbst artikuliert, wird man irgendwann gehört. Das wird im besten Fall immer belohnt. – frei nach dem Liedtext von Jimmy Cliff: “You can get it if you really want, but you must try, try and try, try and try, you'll succeed at last”.

Liegt dir sonst noch etwas am Herzen, dass du mitteilen möchtest?

Zuletzt möchte ich noch einmal kurz Bezug auf das Image nehmen, das führende Wirtschaftsunternehmen oft von den Ypsilonern haben, etwa dass sie enorme Ansprüche stellen, überheblich und arrogant sind und nur wenig arbeiten wollen. Ich selber habe diese Phrasen in einer meiner vielen Bewerbungsrunden gehört. Hier ein paar Anekdoten, die unsere aktuelle Situation beschreiben und die der Grund sind, warum wir uns nicht mehr alles gefallen lassen. 

Als un-/oder unterbezahlte Praktikanten rackern wir uns meist noch nach abgeschlossenem Studium für einen Jobeinstieg ab, um dann am Ende als billige Arbeitskraft entlassen zu werden. Wenn wir den Einstieg schaffen, bekommen wir befristete Arbeitsverträge, wobei die Verlängerung in den Sternen steht. Kann man da eine Zukunft planen? In der Probezeit werden wir gekündigt und mit fadenscheinigen Argumenten abgespeist, wie etwa dem, dass wir zu lange auf der Weihnachtsfeier waren. Weiterentwicklungsprogramme und Gehaltserhöhungen sind für unsere Generation eine Rarität. 

Das sind nur Beispiele, aber alles wahre Begebenheiten, die sich unmittelbar in meinem Umfeld abgespielt haben. Von uns wird Arbeitswut, Motivation und Loyalität gefordert und auf der anderen Seite steht oftmals „Nichts“. Hier stecken wir im gesellschaftlichen Dilemma und darum sind wir vielleicht auch so wie wir sind.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast mir ein paar Fragen zu beantworten. Ich denke dass du damit einigen Menschen die Augen öffnen und sicherlich vielen die eine ähnliche Situation erleben helfen kannst. Ich wünsche dir zunächst einmal alles  Gute, obwohl ich mir sicher bin, dass das nicht das letzte war, was wir von dir hören!


2 Kommentare:

  1. Hallo Stefan,

    vielen Dank, dass du hier den Artikel nochmal aufgegriffen hast und besonders spannend fand ich die Ausführungen von Fr. Müller, bei den es um die Kernkompetenzen der Generation Y ging.

    Ich weiß jetzt nicht, zu welcher Generation ich gehöre (BJ 70er Jahre), aber viele genannte Attribute würde ich zumindest auch mir und meinen Zeitgenossen zuschreiben wollen. ;-)

    Es bleibt einfach sehr viel zu tun im Bereich HR vs. Recruiting vs. Talent Mining vs. Talent Acquisition vs. Talent Satisfaction, ... und ich wünsche der Dame vor allem gutes Gelingen und hoffentlich mehr offene Geister für Querdenker und Ypsiloner (m/w).

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  2. Hallo Marc,

    Du gehörst per Definition zur Generation X.

    Ja, ich bin selbst beeindruckt von den differenzierten und ausführlichen Antworten von Franziska Müller. Sehr aufschlussreich!

    Dass es unzählige Baustellen gibt sehen wir glaube ich beide so. Da müsste so viel getan werden und effektiv habe ich das Gefühl, es passiert nicht wirklch viel. Aber vielleicht steht das große Beben und der Umbruch ja auch erst bevor, es wird spannend. Hoffentlich behält der gute Henrik Zaborowski nicht Recht und HR schafft sich selbst ab, eine Option ist das bei dem Momentanen Stand leider allemal.....

    Herzliche Grüße
    Stefan

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