Liebe Franziska, vielen Dank zunächst einmal, dass du dich für
ein Interview bereit erklärt hast. Ich habe von dir und deiner Geschichte über
das Blog von Henrik Zaborowski (hzaborowski.de) erfahren. Da ich nicht an den
Einheitsbrei Generation Y glaube, möchte ich nicht behaupten, dass du eine
typische Ypsilonerin bist, aber du bist auf jeden Fall dieser Generation
zugehörig.
Gut ausgebildet, mit einem Hochschulabschluss in der Tasche
hast du dich auf den Weg gemacht und bist erstmal gewaltig enttäuscht worden,
was genau war das Problem?
Ganz genau, als junge Akademikerin und von der
wissenschaftlichen Ausbildung der Universität idealisiert, habe ich mich voller
Tatendrang auf eine spannende Aufgabe im Beruf gefreut. Ziel war es, mein
theoretisch erworbenes Wissen in die Praxis umzusetzen. Leider habe ich das bis
heute nur teilweise erreicht. Nach meinem Studium musste ich sehr schnell
feststellen, dass es schwieriger werden würde, als ich zunächst dachte. Selbst
mit Einser-Schnitt, Auslandsemester, Praktika im In-und Ausland sowie einer
Publikation hatte ich keine Chance. Meinem Abschluss entsprechend bewarb ich
mich zielgerichtet auf geeignete Positionen, sowohl im öffentlichen Dienst als
auch in der freien Wirtschaft. Auf eine Bewerbung folgte die Nächste. Im besten
Fall erhielt ich Absagen, im schlimmsten Fall gar nicht einmal eine Antwort.
Resultat meiner ersten Bewerbungsphase: Ich erhielt nicht eine Einladung zu
einem Gespräch. Danach folgten eine Weiterbildung und weitere Praktika. Die
traurige Ernüchterung aus dieser Zeit: der deutsche Arbeitsmarkt braucht keine
Geisteswissenschaftler.
Schlagwort Fachkräftemangel, wenn man eine ähnliche Situation
wie du durchlebt hat, kommt man sich dann nicht ein wenig veräppelt vor wenn
man ständig hört, dass Fachkräfte fehlen? Glaubst du dass es den
Fachkräftemangel gibt oder denkst du eher, dass die freie Wirtschaft diesen
durch eigene Fehler befeuert, bzw. als Druckmittel nutzt?
Ja, wenn man als gut ausgebildete „Fachkraft“ mit guten
Referenzen von der Universität kommt und keinerlei Jobeinstieg auf einem
scheinbar suchenden Arbeitsmarkt findet, dann fühlt man sich genau so. Das ist
nicht nur bei mir der Fall. Zahlreiche Freunde von mir – auch anderer
Studiengänge – haben und hatten ähnliche Probleme. Ob es den genannten
Fachkräftemangel gibt, kann ich nicht einschätzen. Man hört und liest von
fehlenden Wirtschaftsinformatikern und Ingenieuren oder dem Auslastungsdefizit
von Studiengängen für sogenannte MINT-Berufe. Dann ist wiederum die Rede von
fehlenden Stellen in den Handwerksberufen. An einen Fachkräftemangel in den
akademischen Berufszweigen will ich nicht so recht glauben. Heutige Unternehmen
stehen unter einem außerordentlichen Konkurrenzdruck. Der heimatliche und
europäische Markt stagniert und ist nahezu erschlossen – warum dann nicht
lieber auf dem chinesischen Markt investieren, mithilfe einer Fachkraft, die
entsprechendes sprachliches und kulturelles Know-how mitbringt. Das sind aufgestellte
Hypothesen, die aber vielleicht nicht weit von der Realität entfernt sind.
Eine gewisse Teilschuld dieses Fachkräfte-Dilemmas möchte ich
allerdings bei der Politik verorten. Dort hat man die Kompetenz etwas zu
ändern, aber die Hände werden flach gehalten. Es gibt Fachkräfte in
Deutschland. Wenn diese nicht passgenau sind, dann sollten sie bspw. durch
Weiterbildungen und Umschulungen gefördert werden. Wird ein Germanist auf dem
Arbeitsmarkt nicht gebraucht, sollte dies an den Universitäten kommuniziert und
ggf. studiengangsbegrenzend verändert werden. Auch das kann politisch motiviert
werden. Zudem sollte ein Schüler in der Sekundarstufe II eines Gymnasiums wissen,
was es später für ihn bedeutet Philosophie, Anglistik oder Politikwissenschaft
studiert zu haben. Hier besteht seitens der politischen Seite dringender
Nachhole- und Aufklärungsbedarf.
Was würdest du dir von der Wirtschaft wünschen?
Die deutsche Wirtschaft hat meiner Meinung nach 2 generelle
Probleme: Zum einen, sich von vorgefertigten Mustern zu lösen, und zum anderen,
Sicherheit gegen ein vielversprechendes Risiko einzutauschen. Die „German“
Angst ist zu groß – warum sonst gibt es bspw. so wenige Unternehmensgründungen
in diesem Land. Ich wünsche mir von der Wirtschaft, und damit möchte ich mich
insbesondere an alle Personalverantwortlichen richten, sich von stringenten
roten Fäden im Lebenslauf eines Bewerbers zu lösen und unter dem Stichwort
„fachunabhängige Leistung“ einen Vorteil zu sehen. Substanzielle Eigenschaften,
bspw. selbstständig Probleme zu lösen, teamfähig zu sein und gerne
Verantwortung zu übernehmen sollten einem Notendurchschnitt, dem Ranking einer
Universität oder einem renommierten Unternehmensnamen übergeordnet sein. Ich
wünsche mir zudem nicht nur eine Akzeptanz, sondern die aktive Befürwortung von
Vielseitigkeit hinsichtlich verschiedener Berufserfahrungen. Pluralität ist
zeitgemäß und sollte nicht als jobtechnische Richtungslosigkeit interpretiert
werden.
Ich bin ein Personaler, daher ist es für mich natürlich
interessant wie sich meine Kollegen dir gegenüber verhalten haben. Hast du
Verbesserungspotentiale erkannt, gab es herausstechende positive wie negative
Erfahrungen und wie sahen diese im Detail aus? Was würdest du verbessert sehen
wollen?
Es gab sowohl positive als auch negative Erfahrungen in meiner
Bewerbungsphase. Ich bin nicht umsonst oft weit gekommen, weil es
Personalverantwortliche gab, die trotz meines geistwissenschaftlichen Studiums
mein Potenzial auch für ein fachfremdes Berufsfeld erkannt haben. Ich erinnere
mich dabei insbesondere an eine Finanzberatung, wo ich erst nach der letzten
Runde gescheitert bin. Als negativ empfand ich hingegen meine
Bewerbungsprozesse bei zwei großen Personalberatungen. Im ersten Fall wurde ich
exakt nach jeder „Lücke“ in meinem Lebenslauf befragt und dazu zählt auch ein
Zeitraum von einem Monat. Im zweiten Fall jagte man mich durch 7
Bewerbungsrunden, um mir nach den „Strapazen“ nicht etwa die Festanstellung
sondern zunächst ein sogenanntes Trainee-Programm anzubieten, obwohl meine
Qualifikationen dessen Anforderungen weit überschritten haben. Auch ein
Bewerber setzt Grenzen: So bin ich aus beiden Bewerbungsverfahren freiwillig
ausgetreten.
Meine Idee für eine bessere Zusammenarbeit: Liebe Personaler,
passt Euch der heutigen Zeit an und seid kreativ. Löst euch von vorgefertigten
Fragenkatalogen. Sucht aktiv nach anderen Selektionsmaßnahmen und Standards bei
der Gestaltung Eurer Bewerbungsprozesse, sonst gehen Euch wertvolle Talente
verloren. Gerade die sind es, die in einer wettbewerbsintensiven, webbasierten
und sich ständig verändernden Wirtschaftswelt gebraucht werden.
Wie siehst du unsere Generation, was sind deiner Meinung nach
unsere Stärken und Schwächen?
Zunächst einmal möchte ich mich von dem pauschalisierten Image
der Generation Y lösen. Meine persönliche Einwicklung zu einer Ysilonerin ist
auf meine zahlreichen Erfahrungen in verschiedenen Bewerbungsprozessen
zurückzuführen. Als Stärke dieser Generation empfinde ich das generelle
Infragestellen von Dingen, etwa von Hierarchien, Personen, Lösungsansätzen
etc.. Wir vermeiden es, Aufgaben stringent auszuführen ohne uns näher mit
diesen auseinander zu setzen. Wir scheuen keine Entscheidungen, auch wenn das
Risiko besteht, dass wir Fehler machen. Uns zeichnet vor allem Flexibilität aus
und wir können uns schnell an neue Umweltbedingungen anpassen. Unsere Schwäche
sehe ich darin, dass wir zu schnell zu viel wollen. Wenn zu schnell Extreme
gefordert werden und man immerzu versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu
rennen, dann ergibt sich logischerweise auf der anderen Seite eine gewisse
Ellebogenhaltung und nichts geht mehr.
Welche Kritikpunkte findest du an unserer Generation, wo
sollten wir uns aus deiner Sicht an die eigene Nasenspitze greifen und was
denkst du könnten wir besser machen?
Diplomatie, Selbstreflexion, ein wenig mehr Geduld und
empfängerorientierte Kommunikation täte uns sicher gut, damit die
Gesamtsituation am Ende reifere Früchte trägt. Wir sollten nicht nur fordern,
sondern durch Mitarbeit und Eigeninitiative eine erfolgreiche Zusammenarbeit
fördern. Eine dosierte Portion Nachsicht mit der Verteidigung eigener
Präferenzen schlage ich vor.
Welche Wünsche und Ansprüche hast du an einen modernen
Arbeitgeber?
Ich wünsche mir eine kreative, spannende und
verantwortungsvolle Tätigkeit mit einer gewissen Flexibilität im
Aufgabenbereich sowie flachen Hierarchien. Darunter verstehe ich bspw. eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen auf allen Ebenen.
Die Förderung der persönlichen Entwicklung und individuell angepasste
Weiterbildungsmöglichkeiten sehe ich als zweiten wichtigen Punkt. Zudem sollte
die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleistet sein, bspw. in Form von
Betriebskitas und begleitenden, berufsbezogenen Angeboten während der
Elternzeit, um nicht den Anschluss zu verlieren. Darüber hinaus begrüße ich
eine lockere Unternehmenskultur: Auch mal ein Bier mit dem Chef oder diverse
Teambuilding-Events gehören dazu. Zuletzt wünsche ich mir eine offene
Kommunikationskultur und die Freiheit, jedem eine Frage stellen zu können. Das
klingt nach einer ganzen Menge, ich weiß.
Hast du mittlerweile gefunden was du suchst? Wenn ja, was
bietet man dir dort und wie ist man dir begegnet?
Jein. Das ist eine schwierige Frage, da es aufgrund meiner
Erlebnisse mit Bewerbungsgesprächen und im Beruf den einen Traumberuf für mich
schlichtweg nicht mehr gibt. Ich bin offen für vieles und profitiere von den
Möglichkeiten, die sich mir bieten. Aktuell bin ich am Puls der Zeit: in einem
E-Commerce-Unternehmen, welches mich fordert und mir auch viel Freude bereitet.
Hier stimmen Unternehmenskultur, Weiterbildungsprogramme und kontinuierliche
Dynamik in den Unternehmensprozessen. Die richtige Position habe ich aktuell
zwar noch nicht, aber meine Chancen stehen gut und es bewegt sich etwas.
Zuguterletzt, was möchtest du Menschen die eine ähnliche
Situation wie deine Durchleben mit auf den Weg geben, vielleicht hast du selbst
ja auch Fehler gemacht die sich vermeiden lassen, oder hast gelernt dass
bestimmte Verhaltensweisen eher ans Ziel führen?
Das Wichtigste ist, dass man daran denkt, man selbst zu
bleiben. Ein Verbiegen wirkt eher unglaubwürdig und schadet dem eigenen
Wohlbefinden. Das „gute Verkaufen der eigenen Person“ sollte daher nur bis zu
dem Punkt getrieben werden, an dem man es noch selbst vertreten kann.
Trotz meiner nicht so berauschenden Erfahrungen, bin ich der
festen Überzeugung, dass man seinen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden kann. Man
sollte sich der eigenen (Er-)Neuerung nicht verschließen und weiter an sich
arbeiten. Lebenslanges Lernen ist das Keyword. Trotz eigener richtiger
Überzeugungen gilt es, sich auf die noch vorherrschende Gesellschaft
einzustellen. Fachunabhängige Leistung wird jetzt noch nicht akzeptiert, daher
studiere ich bspw. gerade berufsbegleitend Betriebswirtschaftslehre, um den
Forderungen der Wirtschaft nachzukommen und auch für mich neue Möglichkeiten zu
schaffen.
Mein Tipp an alle, die meinen, den Tiefpunkt im
Bewerbungsdschungel erreicht zu haben: Gebt nicht auf und macht weiter. Geht
nicht nur aktiv, sondern „aggressiv“ proaktiv voran und fordert das ein, was
ihr möchtet. Denn nur wenn man sich selbst artikuliert, wird man irgendwann
gehört. Das wird im besten
Fall immer belohnt. – frei nach dem Liedtext von Jimmy Cliff: “You can get it
if you really want, but you must try, try and try, try and try, you'll succeed
at last”.
Liegt dir sonst noch etwas am Herzen, dass du mitteilen
möchtest?
Zuletzt möchte ich noch einmal kurz Bezug auf das Image nehmen,
das führende Wirtschaftsunternehmen oft von den Ypsilonern haben, etwa dass sie
enorme Ansprüche stellen, überheblich und arrogant sind und nur wenig arbeiten
wollen. Ich selber habe diese Phrasen in einer meiner vielen Bewerbungsrunden
gehört. Hier ein paar Anekdoten, die unsere aktuelle Situation beschreiben und
die der Grund sind, warum wir uns nicht mehr alles gefallen lassen.
Als un-/oder unterbezahlte Praktikanten rackern wir uns meist
noch nach abgeschlossenem Studium für einen Jobeinstieg ab, um dann am Ende als
billige Arbeitskraft entlassen zu werden. Wenn wir den Einstieg schaffen,
bekommen wir befristete Arbeitsverträge, wobei die Verlängerung in den Sternen
steht. Kann man da eine Zukunft planen? In der Probezeit werden wir gekündigt
und mit fadenscheinigen Argumenten abgespeist, wie etwa dem, dass wir zu lange
auf der Weihnachtsfeier waren. Weiterentwicklungsprogramme und
Gehaltserhöhungen sind für unsere Generation eine Rarität.
Das sind nur Beispiele, aber alles wahre Begebenheiten, die
sich unmittelbar in meinem Umfeld abgespielt haben. Von uns wird Arbeitswut,
Motivation und Loyalität gefordert und auf der anderen Seite steht oftmals
„Nichts“. Hier stecken wir im gesellschaftlichen Dilemma und darum sind wir
vielleicht auch so wie wir sind.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast mir ein paar
Fragen zu beantworten. Ich denke dass du damit einigen Menschen die Augen
öffnen und sicherlich vielen die eine ähnliche Situation erleben helfen kannst.
Ich wünsche dir zunächst einmal alles
Gute, obwohl ich mir sicher bin, dass das nicht das letzte war, was wir
von dir hören!
Hallo Stefan,
AntwortenLöschenvielen Dank, dass du hier den Artikel nochmal aufgegriffen hast und besonders spannend fand ich die Ausführungen von Fr. Müller, bei den es um die Kernkompetenzen der Generation Y ging.
Ich weiß jetzt nicht, zu welcher Generation ich gehöre (BJ 70er Jahre), aber viele genannte Attribute würde ich zumindest auch mir und meinen Zeitgenossen zuschreiben wollen. ;-)
Es bleibt einfach sehr viel zu tun im Bereich HR vs. Recruiting vs. Talent Mining vs. Talent Acquisition vs. Talent Satisfaction, ... und ich wünsche der Dame vor allem gutes Gelingen und hoffentlich mehr offene Geister für Querdenker und Ypsiloner (m/w).
Hallo Marc,
AntwortenLöschenDu gehörst per Definition zur Generation X.
Ja, ich bin selbst beeindruckt von den differenzierten und ausführlichen Antworten von Franziska Müller. Sehr aufschlussreich!
Dass es unzählige Baustellen gibt sehen wir glaube ich beide so. Da müsste so viel getan werden und effektiv habe ich das Gefühl, es passiert nicht wirklch viel. Aber vielleicht steht das große Beben und der Umbruch ja auch erst bevor, es wird spannend. Hoffentlich behält der gute Henrik Zaborowski nicht Recht und HR schafft sich selbst ab, eine Option ist das bei dem Momentanen Stand leider allemal.....
Herzliche Grüße
Stefan